Sonntag, 19. Oktober 2014

Mentoriatstag #1 in Algorithmischer Mathematik

Von meinem ersten Mentoriatstag bin ich mit gemischten Gefühlen nach Hause gefahren. Mein Plan, mich beim Mentoriat berieseln zu lassen und so den Stoff von Grund auf zu erlernen, geht jedenfalls absolut nicht auf. Die Vortragende ist eine Mathematikerin, wie sie im Buche steht, mit all ihren Vorteilen und Nachteilen. Vorteil: Es gibt keine Frage, die sie erschüttern könnte. Nachteil: Es wird zuviel vorausgesetzt. Zudem sind wohl nicht wenige der anwesenden Studenten Wiederholer vom letzten Semester, die durch die Klausur gerasselt sind, aber augenscheinlich dennoch ein entsprechendes Vorwissen haben. Es gab zwar keine Vorstellungsrunde, aber was ich so rausgehört habe, waren viele (reine) Informatiker anwesend. Bei denen gibt es die Vorlesung "Grundlagen Mathematik", auf welche sich im Mentoriat immer wieder berufen wurde, die aber rein gar nichts mit "unserer" doch sehr simplen und fachfokussierten Wirtschaftsmathematik zu tun hat.

Und so kommt es, dass mal eben ohne weitere Erläuterung der "kleine Gauss" angewandt wird und somit nach wenigen Minuten Vorlesung eine vollständige Induktion bei einer doppelläufig rekursiven Funktion zu einem Beweis führt. Ich kannte weder den "kleinen Gauss", die vollständige Induktion, eine rekursive Funktion (im mathematischen Sinn) oder das Problem einer Beweisführung im generellen, noch wusste ich, was der Sinn und Zweck von alldem sein soll. Ich sags ganz ehrlich: Das war frustrierend. Es ging leider nicht darum, was die Induktion überhaupt ist, wozu sie dient oder wie sie methodisch aufgebaut ist - das wurde nämlich vorausgesetzt "wie in Grundlagen Mathematik bereits behandelt"! - sondern das Ganze lief - etwas verkürzt - in etwa so ab: ''Hallo, willkommen im Mentoriat, jetzt ein Beispiel zur Induktion[...]''. Hä? Induktion? Kenne ich nur vom Herd.

Zwischendrin wurde dann im Skript rumgeblättert und dabei die wichtigsten Sätze hervorgehoben, die für mich aber genauso kryptisch blieben wie zuvor. Separate Unterlagen gabs leider auch keine, somit war Mitschreiben angesagt.

By the way: Die Skripten von Herrn Prof. Hochstättler sind ja wirklich sehr kompliziert geschrieben. Welche Sprache ist das? Vulkanisch? Die Gebrauchsanweisung eines Fluxkompensators aus dem Oriongürtel in Originalsprache würde mir auf den ersten Blick wahrscheinlich genauso viel sagen wie dieser Orgasmus an Antididaktik. Der Begriff "Antididaktik" erscheint etwas hart, aber die Alternativliteratur, die allesamt nicht von mathematischen Nobodys verfasst wurde, beweist eindrucksvoll, dass es auch anders geht. Ein paar Zeilen Prosa in den Skripten - ohne formelle Ausdrücke!- würden oft schon reichen, um aus einem "Hä?" ein "Hah!" zu machen.

Was nämlich für einen Mathematiker funktioniert, der sich sowas als Vorspeise reinzieht, führt bei einem fachfremden Studenten leider nur zu einem Motivationstief. Kein Wunder, dass bei einem Großteil der Studenten diese Skripten nach einer Weile des frustranen Bearbeitens im Schrank verschwinden! Wobei ich das Gesagte noch etwas relativieren muss: Die ersten Kapitel "funktionieren" nach intensivem Bearbeiten wohl doch, auch wenn das wesentlich einfacher und didaktisch wohl auch klüger ginge, aber ab dem sog. "Steilkurs" ist der Stoff unter den gegebenen mathematischen Vorkenntnissen wirklich absolut unverständlich.

In der Newsgroup, wo auch Hochstättler himself sehr häufig anzutreffen ist (was ich übrigens sehr positiv finde), schreibt er immer wieder, dass er uns Studenten gerne dazu anleiten möchte, selbstständig Probleme zu lösen. Siehe dazu folgendes Willkommensposting:
Liebe Studierende,

auch ich möchte Sie in dieser Newsgroup herzlich willkommen heißen und hoffe, dass wir dieses Forum zu Ihrem Nutzen einsetzen können.

Die Prüfungsergebnisse insbesondere des letzten Semesters veranlassen mich dazu, an dieser Stelle noch einmal ein paar Dinge klar zu stellen:

Leider lassen sich wohl die Gerüchte, man könne den Kurs erfolgreich bearbeiten, ohne sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen, nicht ausrotten. Diese Gerüchte sind schädlich für alle die, die sich von ihnen verführen lassen.

Lernziel sind Analyse- Abstraktions- und Designfertigkeiten. Lernziel ist es nicht, verschiedene Algorithmen anwenden zu können und verschiedene Aufgabentypen zu rechnen. Das Lernziel kann man nur durch aktives Bearbeiten der Kurstexte und der Übungsaufgaben erreichen. Wesentliches Trainingsmaterial auf dem Weg zum Lernziel sind die Beweise. Manche dieser Beweise sind sehr technisch. Sie stellen zwar eine gute Konzentrationsübung dar, aber Beweise, die länger als eine Textseite sind, können Sie bei Zeitmangel überspringen. Beweise von weniger als einer halben Textseite sollten Sie durcharbeiten und verstehen. Wenn ein "Warum" bleibt sollten Sie nachfragen und zwar in diesem Forum.

Wir stellen Ihnen sechs alte Klausuren zur Verfügung. Sie müssen damit rechnen, in der Klausur mit Aufgaben konfrontiert zu werden, die in keiner dieser alten Klausuren vorkommen. Die Klausuren geben Ihnen nur Anhaltspunkte über die Verteilung der Aufgaben zu den einzelnen Kurseinheiten. Reines Klausurenochsen kann dazu führen, dass Sie die Prüfung mit ausreichend ablegen, bzw. den Leistungsnachweis erwerben. Diese Strategie geht aber oft schief und führt nie zu einem positiven Lernerfolg bzgl. der oben angegebenen Lernziele oder guten Noten.

Ich könnte noch mehr sagen, möchte es aber nicht machen, um Sie nicht von diesen wesentlichen Punkten abzulenken.

Viel Erfolg

Winfried Hochstättler 

Zitat von Prof. Hochstättler, Newsgroup f.m.k.1142, 24.09.2014, 14:12Uhr, Fernuniversität in Hagen
Seine Motivation in Ehren, aber leider ist das einzige Problem, das man mit /diesen/ Unterlagen (vor allem bei den letzten Kapiteln) lösen kann, die Frage, was man alternativ dazu lernen soll. Für ein paar Überflieger mögen die Skripten ja brauchbare Lektüre sein, aber für normalsterbliche Jedi-Ritter wie mich einfach nicht verständlich sie sind. Es kann doch nicht sein, dass man ständig zu Alternativen greifen muss! Wenn obige Aussagen also wirklich sein Ziel sind, was ich dem Prof wahrhaftig abnehme, dann braucht es einfach bessere Unterlagen und vielleicht auch etwas realistischere Stoffvorgaben, die weniger dem persönlichen Mathe-Ego als vielmehr der allgemeinen Verständlichkeit und einem fremdländisch klingenden Konzept namens Didaktik dienen. Solange das nicht der Fall ist, werden sich die Studenten eben auch weiterhin nur reziprok anhand der alten Klausuren, über Youtube-Videos (wie traurig ist das eigentlich?!) oder Alternativanbieter vorbereiten m ü s s e n. Selbst die Mentoren bauen ihre Vorbereitung anhand alter Klausurbeispiele auf!

Diese Überleitung bringt auch schon wieder zum eigentlichen Thema zurück...das Mentoriat. Im Laufe der Vorlesung taute die Vortragende zunehmend auf, sie plauderte ein wenig aus der Trickkiste, war auch sichtlich und ehrlich bemüht, ging aber einfach vom (für mich) falschen Niveau aus. Die Kritiker werden jetzt einwerfen: Warum hast du nichts gesagt? Auf diesen prinzipiell berechtigten Einwand möchte ich folgendes erwidern: Wenn bereits in den ersten Minuten mit einer unbekannten  Methode losgeschossen wird, um ein unbekanntes Problem einer unbekannten Funktion mit unbekannten Formeln zu lösen, wirkt das doch ein wenig ernüchternd. Ich habe jedenfalls nicht gewußt, wo ich da fragetechnisch ansetzen sollte (oder ob ich überhaupt im richtigen Hörsaal sitze).

Das letzte Kapitel ging dann übrigens um Wahrscheinlichkeitsrechnung, die haben wir ja in Statistik zur Genüge behandelt und so empfand ich sie in diesem Rahmen sogar etwas oberflächlich. Das zeigt mir, dass der Stoff prinzipiell machbar ist, aber eben nicht ohne entsprechende Grundlagen. Die Mentorin sprach in diesem Zusammenhang sogar offene Kritik gegenüber den Skripten und deren Inhalte aus, die sinngemäß oft sehr wirr, zusammenhangslos, abstrus tiefgreifend und ohne entsprechende Grundlagen kaum oder nur mit sehr strategischem Vorgehen verständlich seien. Wenn das schon bei Informatikern so ist, was sollen wir Wirtschaftsinformatiker da erst sagen?

So leicht lasse ich mich denoch nicht entmutigen. In dieses Mentoriat ging ich absolut unvorbereitet, das werde ich beim nächsten Termin definitiv nicht sein. Außerdem werde ich den Mentoriatsinhalt mal mit den Vorlesungen von Fernstudium-Guide vergleichen. Sollte sich herausstellen, dass letzteres mir mehr bringt und ich mir den ganzen Aufwand (Zeit und Fahrt) sparen kann, werde ich nach dem nächsten Mentoriat wohl umsatteln. So wie es jetzt lief, bringt mir das jedenfalls nicht viel.

5 Kommentare:

  1. Hallo Markus,

    vielen Dank für deinen Erfahrungsbericht. Ich bin sehr beruhigt, dass du das Mentoriat und die KEs genau so empfindest, andererseits ist es sehr frustrierend, dass man ohne Hilfe nicht weiterkommt. Berichte auf jeden Fall bitte von deinen Erfahrungen mit Fernstudium-Guide.

    Viele Grüße,
    Natascha

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  2. Hallo Markus. Ich verfolge deinen Blog schon lange, finde deine Beiträge immer sehr interessant und extrem witzig. Wie ich dich kenne wirst du wahrscheinlich am ende der Vorbereitungszeit die AlgoMathe wieder schlitzohrig perfekt drauf haben. Schreib' doch einfach mal ein Alternativskript zur Algomathe, bei deinem Schreibstil würde ich mir das sogar durchlesen, wenn es nicht auf dem Lehrplan stünde ;)

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  3. Servus Markus,

    ich hab mir im Sommer mal die Algo Mathe -Videos vom Fernstudien Guide angesehen und bin der Meinung die gute Ulla hat nicht alles in ihrem Sortiment um den Stoff abzudecken.
    Nachdem ich mir noch ein paar Vorlesungen des Prof. angesehen habe, bin ich zum Entschluss gekommen Algo Mathe auf nächstes Semester zu verschieben (evtl. tut sich ja etwas an den Skripten).

    Ich bin sehr gespannt wie Du das Problem lösen willst, da es keine großartigen Alternativen zu den Skripten gibt evtl. muß man sich jedes Thema im Netz selbst erarbeiten.


    Grüße

    Jens

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  4. Ahja, dann bin ich also nicht der einzige, dem es in dem Mentoriat so erging.. Ich bin der, der in der Pause den Hörsaal verlassen hat, da ich leider fast nix verstanden hab.. Das Modul ist meiner Meinung nach absolut unpassend für Wirtschaftsinformatik und sollte mehr auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten werden. Notfalls sollte im Mentoriat zuerst auf nötiges Grundwissen eingegangen werden, bevor man gleich so knallhart mit den Beweisen anfängt.
    Grüße
    Stefan

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    1. Hallo Stefan,

      warst du denn auch in München? Nach reichlicher Überlegung habe ich jedenfalls beschlossen, die Mentoriate sausen zu lassen, da ich keinen Mehrwert sehe, dafür aber sehr viel Aufwand. Zumindest das Münchner Mentoriat ist - wenn überhaupt - nur für Informatiker geeignet, die die entsprechenden Basics schon gelernt haben.

      Das Witzige an der ganzen Sache ist ja, dass der Stoff eigentlich überhaupt nicht schwer ist. Bei uns WiInf'lern scheitert es ganz einfach an der mathematischen Formalsprache, die wir nicht gewöhnt sind.

      MfG
      Markus

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